Richterliche Befangenheit

Die deutschen Prozessordnungen enthalten Vorschriften, die festlegen, unter welchen Bedingungen „Gerichtspersonen“ von der Mitwirkung am Verfahren ausgeschlossen sind.

Für den Strafprozess ist dies in den §§ 22 ff. StP0 geregelt, im Zivilprozess gelten die §§ 41 ff. ZPO.

Praktische Bedeutung im Strafprozess haben vor allem die Fragen der Befangenheit und der sogenannten Vorbefassung.

So legt beispielsweise § 338 Nr.3 StP0 einen sogenannten absoluten Revisionsgrund fest, wenn am Urteil ein Richter beteiligt ist, der wegen Befangenheit abgelehnt worden war oder wenn ein Ablehnungsgesuch gegen ihn zu Unrecht verworfen wurde.

Der Begriff der Vorbefassung umschreibt die Situation, dass ein Richter mit einem Verfahren erneut konfrontiert wird, an welchem er in der Vergangenheit bereits einmal beteiligt war.

Wird der Vorsitzende der Strafkammer 1 des Landgerichts nach Verurteilung des Angeklagten zum Bundesgerichtshof abgeordnet, darf er an der Revisionsentscheidung nicht mitwirken, § 23 StP0 ist für diese Konstellation eindeutig.

Wird derselbe Vorsitzende in die Strafkammer 2 versetzt und landet das vom Bundesgerichtshof beanstandete Verfahren dann bei ihm, soll er nach bislang überwiegender Rechtsprechung jedoch nicht befangen sein.

Richter sind wohl die einzige Berufsgruppe, der man zutraut, sich von einer gebildeten Meinung ohne Probleme lösen und dem schon einmal verurteilten Angeklagten vorurteilsfrei entgegentreten zu können. Aus psychologischer Sicht ist dieser Ansatz unhaltbar, weil Menschen dazu neigen, ihren Voreinstellungen widersprechenden Informationen geringeren Stellenwert beizumessen.

Aber auch juristisch könnte die bislang „herrschende Meinung“ ins Wanken geraten.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem gegen Deutschland geführten Verfahren Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts für begründet erklärt, wenn ein Richter über einen Angeklagten ein Urteil spricht, nachdem er bereits an der früheren Verurteilung des Mitbeschuldigten beteiligt war – Urteil vom 16. Februar 2021 zur Individualbeschwerde 1128/17

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